Die Lehr-Lern-Plattform

Die digitale Lehr-Lern-Plattform für angehende Lehrer*innen - Ein Ort perspektivenübergreifender und interdisziplinärer Analyse von Unterricht

Nicht nur während der weltweiten COVID 19-Pandemie haben digitale Lehr-Lern-Angebote in der Hochschullehre an Bedeutung gewonnen. Das LLF beschäftigt sich bereits seit dem Beginn der zweiten Förderphase in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung mit der Konzeption, Entwicklung und dem Einsatz einer interaktiven digitalen Lehr-Lern-Plattform in der Lehrer*innenbildung. Ziel der Lehr-Lern-Plattform ist es, angehenden Lehrer*innen einen digitalen Raum zu bieten, der sowohl die eigenständige als auch die kooperative Analyse von videografiertem Unterricht und Unterrichtsmaterialien sowie Kooperationen mit Akteur*innen der Lehrer*innenaus- und -weiterbildung ermöglicht. Im Sommersemester 2021 konnte die Lehr-Lern-Plattform zum ersten Mal erfolgreich in fachdidaktischen Seminaren eingesetzt und im Praxistest mit der Zielgruppe erprobt werden.

Das Herzstück des Projekts

Das Herzstück des Projekts bilden Lehr-Lern-Forschungslabore, welche vorrangig in den Fächern Englisch, Geschichte, Katholische Religion, Musik, Physik und Romanistik (Spanisch und Französisch) angesiedelt sind. Parallel zu den individuellen Veranstaltungen der Fachdidaktiken besuchen die Studierenden des Masters of Education die Forschungswerkstatt in den Bildungswissenschaften (siehe Abbildung 1). Im Rahmen dieser auf zwei Semester angelegten Veranstaltung steht die Reflexion und Interpretation videografierter Unterrichtssituationen im Fokus, mit dem Ziel, den Studierenden ein vertieftes Verständnis von Lehr-Lernprozessen zu vermitteln und mit ihnen Handlungsoptionen für die (eigene) Unterrichtspraxis zu entwickeln. Die theoretischen und praktischen Grundlagen für die videobasierte Unterrichtsanalyse werden den Studierenden bereits in Veranstaltungen des Bachelors of Education vermittelt, sodass im Master auf einer breiten Wissensbasis aufgebaut werden kann.

Abbildung 1: Seminarstrukturen Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften

In den Lehr-Lern-Forschungslaboren der jeweiligen Fachdidaktiken erhalten die Studierenden die Möglichkeit, das erworbene fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Wissen (etwa zu Aufgabenkonstruktion und Unterrichtsplanung unter Berücksichtigung der Konzepte kognitive Aktivierung und Deeper Learning) in der Praxis anzuwenden. Dies erfolgt, indem sie fachbezogene Aufgabenformate erarbeiten, die sie unter realen Bedingungen in Unterrichtssituationen entweder an kooperierenden Schulen, an der Universität und/oder an außerschulischen Lernorten bspw. bei Exkursionen mit Schüler*innen einsetzen. Diese Erprobung des selbstständig entwickelten Materials wird mit Hilfe mehrerer Kameras aus unterschiedlichen Perspektiven videografiert (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Laborskizze einer Erprobung in einer kooperierenden Schule

Das Videomaterial stellt schließlich die Grundlage für die systematische Analyse und Reflexion in den jeweiligen fachdidaktischen Veranstaltungen sowie in der bildungswissenschaftlichen Forschungswerkstatt dar. In zumeist kleinen Arbeitsgruppen entwickeln die Studierenden eigene Forschungsideen und -fragen, die Aspekte der kognitiven Aktivierung und des Deeper Learnings in den Blick nehmen.
Im Laufe der inzwischen fünfjährigen Projektarbeit haben mehr als 750 Studierende an 57 Lehr-Lern-Forschungslaboren teilgenommen. Hierbei entstand ein breites Repertoire an Unterrichtsmaterialien und -mitschnitten aus sieben Fächern (Englisch, Französisch, Geschichte, Katholische Religion, Musik, Physik, Spanisch). Zum breiten Themenspektrum gehörten Themen wie das Civil Rights Movement (Englisch), Vergessen, erinnert oder gefeiert? - Mainzer Republik in der Geschichtskultur (Geschichte), Religion meets Public Climate School (Kath. Religion), Transformationen auskomponieren und präsentieren (Musik), Identität (Spanisch und Französisch) behandelt und Experimente wie zum Beispiel der freie Fall, der Quantenradierer oder das Fernrohr (Physik).Insgesamt wurden ca. 110 Stunden Unterricht aus verschiedenen Kameraperspektiven aufgezeichnet – überwiegend in Präsenzform, aber auch als Mitschnitt von digitalem Fernunterricht im Zuge der Corona-Pandemie. Das entstandene Material bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Lehr-Lern-Plattform.

Die Lehr-Lern-Plattform

Mit der Plattform soll das selbstgesteuerte Lernen und der damit einhergehende Professionalisierungsanspruch des Lehrer*innenberufes weiter unterstützt werden. Damit dem Anspruch und der Forderung nach einer höheren Diversifizierung begegnet werden kann, wurde im Projekt eine eigene Lehr-Lern-Plattform entwickelt, die die Studierenden als Hauptadressat*innen bei der Unterrichtsanalyse und -reflexion systematisch unterstützen soll.
Die Lehr-Lern-Plattform soll unterschiedliche Funktionen erfüllen: Hierzu gehört zum einen die Darstellung der theoretischen Ausgangslage zu kognitiver Aktivierung und Deeper Learning sowie ihren fachspezifischen Ausgestaltungen im Projekt. Zum anderen liegt der Fokus auf der Bereitstellung von Werkzeugen zur Analyse der im Rahmen der Lehr-Lern-Forschungslabore aufgezeichneten Videoaufnahmen und eingesetzten Materialien. Dafür steht von Fachdidaktiker*innen und Bildungswissenschaftler*innen ausgewähltes Videomaterial sowie auch das vollständige Material der eigenen Erprobungen zur Verfügung. Für den Einsatz in Lehrveranstaltungen werden individuell an das Format der Veranstaltung anpassbare Workspaces angelegt.
Um die Videoanalyse auf der Lehr-Lern-Plattform technisch adäquat umsetzen zu können, wurde in enger Kooperation mit dem Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) der Universität ein entsprechendes Video-Plugin (siehe Abbildung 3) entwickelt, das die eigenständige wie auch kooperative systematische kriteriengeleitete Videoanalyse und Auswertung auf der eigenen Nutzer*innenoberfläche ermöglicht. Zusätzlich werden weitere Tools eingesetzt, um die Transkript- und Arbeitsblattanalyse zu erleichtern.

Abbildung 3: Ausschnitt aus dem webbasierten Video-Analysetool auf der Lehr-Lern-Plattform

Ziel dieser intensiven Analysearbeit ist es, lernwirksame Unterrichtsmomente zu erkennen, zu analysieren und alternative Handlungsoptionen bestimmen zu können. Dieses Konglomerat aus Kompetenzen gilt als entscheidendes Merkmal für professionelles Lehrer*innenhandeln.
Zum ersten Mal eingesetzt wurde die Lehr-Lern-Plattform in einem Seminar der Fachdidaktik Physik. Im Zentrum der Lehrveranstaltung standen Analyse, Konzeption, Durchführung und Evaluation eines forschend-entwickelnden naturwissenschaftlichen Unterrichts, der Schüler*innen sowohl kognitiv aktivieren als auch zum vertieften Lernen anregen sollte. Diesen Herausforderungen begegneten die Studierenden zuerst in videografierten Unterrichtsminiaturen auf der Lehr-Lern-Plattform und anschließend in eigenen Praxiserfahrungen in konkreten Lehr-Lern-Situationen.
Seit dem Start des Sommersemesters 2022 nutzen mehr als 600 Lehramtsstudierende der am Projekt beteiligten Lehrveranstaltungen die Angebote der Plattform. Im Laufe des Semesters werden perspektivisch weitere Kurse integriert.
Die Lehr-Lern-Plattform eignet sich nicht nur für den Einsatz in der Hochschullehre, sondern bietet ein umfassendes empirisches Datenmaterial für die Anfertigung von Abschlussarbeiten. Im Sommersemester 2021 konnten bereits sechs Bachelorarbeiten erfolgreich beendet werden, in denen fremder Unterricht aus verschiedenen Perspektiven und unter verschiedenen Fragestellung systematisch analysiert wurde. Darüber hinaus stellt die Lehr-Lern-Plattform speziell konzipierte Lerneinheiten bereit, wie etwa Übungsmodule zu den Themen Unterrichtsbeobachtung oder kriteriengeleitete systematische Videoanalyse, die das eigenständige und selbstverantwortliche Lernen außerhalb von Lehrveranstaltungen unterstützen. Die Module enthalten zudem neben weiterführender Literatur auch Übungseinheiten zur Überprüfung des eigenen Lernerfolgs in Form von Tests oder Quizzes und präzise Beobachtungsaufträge.
Die Lehr-Lern-Plattform bietet somit ortsunabhängige, stets verfügbare Lerninhalte, die sich unter anderem auch für Blended Learning und/oder Flipped Classroom-Konzepte eignen. Durch eine strukturierte Einführung wird den Nutzer*innen eine bestmögliche Auseinandersetzung mit den Themen ermöglicht.
Ein weiteres Ziel der Lehr-Lern-Plattform ist die Vernetzung aller Akteur*innen der Lehrer*innenaus- und -weiterbildung. Hierzu sollen perspektivisch webbasierte Netzwerkstrukturen aufgebaut, integriert und verstetigt werden. Diese Bausteine ermöglichen den gemeinsamen Austausch über theoretische, empirische und didaktische Konzepte, methodische Zugänge, Ergebnisse eigener und fremder Videoanalysen und individuelle Rückmeldungen, die die Nutzer*innen bei der Erschließung der Inhalte unterstützen.
Die Lehr-Lern-Plattform wird durch das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) im Hinblick auf ihre Wirksamkeit projektbegleitend evaluiert. Dabei werden die Struktur der Module, die technische Umsetzung, die Erfahrungen der Studierenden und Lehrenden mit den angebotenen Tools als auch der Lernerfolg und die Kompetenzsteigerung untersucht.